Jivans Familie lebt im umkämpften Gebiet in Syrien. Er erzählt, wie er mit dem Stress umgeht und was er hier in Bern tun kann.
Ich habe meine Familie seit acht Jahren nicht gesehen. Ich komme aus Qamishli, Syrien. Das Haus meiner Eltern ist nur fünf Gehminuten von der Türkischen Grenze entfernt. Ich habe Syrien verlassen, als ich 17 Jahre alt war. Ich arbeitete einige Jahre im Irak und bin vor gut einem Jahr in die Schweiz gekommen.
Ich habe auf Facebook erfahren, dass es in meiner Heimat Kämpfe gibt. Sofort habe ich meinen Vater angerufen, aber er sagte nur, er habe keine Zeit. Es gebe ständig Bombeneinschläge in der Nähe. Meine Mutter und er müssten das Haus so schnell wie möglich verlassen und in ein ländliches Gebiet fliehen. Ich fragte ihn nach meinem Bruder. Mein Bruder ist seit 6 Monaten Soldat für die Kurdische Miliz, er ist 19-jährig. Mein Vater hatte nichts von ihm gehört.
Ich habe noch N-Ausweis. Seit einem Jahr bin ich hier und habe noch keine Antwort. Ich weiss nicht, ob ich hier bleiben kann oder nicht. Ich habe eine Arbeit gefunden. Ich trage Zeitungen aus. Zudem habe ich ein Stellenantrittsgesuch für eine 20-Prozent-Stelle bei einem Coiffeur dem Migrationsdienst geschickt. Ich träume davon, einen B-Ausweis zu bekommen und in ein Nachbarland Syriens zu reisen, damit ich meine Familie wiedersehen kann.
Seit der Krieg in Syrien wieder ausgebrochen ist, habe ich immer Stress. Ich denke an meine Eltern und meinen Bruder, aber ich bin hier und kann für sie nichts machen. Ich schicke meinen Eltern täglich Sprachnachrichten per WhatsApp. Mein Vater hat fast nie Internet, er antwortet nur selten. Meinen Bruder kann ich nicht erreichen.
Ich bin fast jeden Tag im kurdischen Zentrum im Fischermätteli. Dort sprechen wir über die Konflikte und machen Plakate und Banner für Demonstrationen in Bern. Ich muss an diesen Demonstrationen teilnehmen. In meiner Stadt ist Krieg und das ist, was ich machen kann. Wir gehen zum Bundeshaus, zur türkischen und amerikanischen Botschaft. In allen europäischen Ländern ist das so. Ich hoffe, dass dies etwas bewirkt.
Gestern ist meine Familie zum Haus in Qamishli zurückgekehrt. Ich weiss nicht für wie lange. Sie haben alle Kleider, Geld, Essen und Wasser im Auto, damit sie sofort losfahren können, wenn wieder mehr Bomben kommen. Im Dorf, in dem sie Zuflucht finden, gibt es manchmal zwei oder drei Tage kein Wasser. Viele IS-Kämpfer sind wegen des Kriegs aus dem Gefängnis entkommen. Vor zwei Tagen gab es den ersten Anschlag seit sechs Monaten vom IS in der Stadt - eine Autobombe. Mein Vater ist Wirt, aber er geht nicht mehr ins Restaurant, weil es nahe eines Militärspitals liegt und er Bombenanschläge befürchtet.
Im Moment ist es zum Glück ruhig in Qamishli. Aktuell kommen keine Bomben aus der Türkei, aber meine Eltern sind besorgt, weil es jeden Moment wieder anfangen kann. Gestern Nacht hat mein Vater mir eine Sprachnachricht geschickt: Er hatte Kontakt zu meinem Bruder. Es gehe ihm gut, aber es ist ihm verboten, seine Familie anzurufen. Das Militär befürchtet, dass die Soldaten abgehört und geortet werden können.
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